Tag 26 – Stelvio mit Monstertruck bezwungen

Punkt 6 Uhr klingelte der Wecker. Es kommt öfters vor, dass wir das Klingeln erst einmal ignorieren. Nicht heute. Wir sind ja inzwischen geübte Turtle Auf-und Abbauer. Das läuft so richtig gut Hand in Hand und wir wissen inzwischen auch ganz genau, was in welche Tasche, was in welchen Beutel und in welcher Reihenfolge in den Turtle gehört. So waren wir heute Morgen schneller fertig als wir uns vorgenommen hatten.

Im Hotel konnten wir noch in den Waschraum und anschließend einen Kaffee im Stehen trinken – dann machten wir uns auf den Weg.

Im Ort kauften wir etwas in einer Bäckerei ein. Dort waren zwei junge Männer, die über unser Gespann staunten. Einer der beiden entdeckte die Trinkflasche, die wir von unserem Rettungs-Fahrradgeschäft geschenkt bekommen haben. Die jungen Männer erkannten das Foto von Jasmine und ihrem Mann und meinten, das sei auch ihre Heimatstadt. Die Welt ist doch wirklich klein!

Der Weg zum Stelvio verlief recht gut. Wir teilten unsere Kräfte gut ein.

Nach viereinhalb Stunden (inklusive der Pausen) erreichten wir die Franzenshöhe. Dort hatten wir dann 1.200 Höhenmeter und etwas mehr als zwei Drittel der Strecke bis zur Passhöhe in der Tasche.

Von der Franzenshöhe sieht man normalerweise die restlichen Kehren sehr gut. Heute war die Sicht leider nicht so gut, aber man kann die Straße doch einigermaßen erkennen. Bei der Franzenshöhe staune ich jedes Mal über diese Straße. Die musste ja vor über 100 Jahren mühsam gebaut werden!

Bei der Auffahrt wurden wir von vielen Rennradfahrern überholt. Ich habe gesammelt, was wir alles gesagt bekommen haben:

  • Grande
  • Saugeil
  • Chapeau
  • Grandissimo
  • You two are heroes
  • You are really great
  • Ihr seid wirklich tapfer
  • Da habt ihr euch aber was vorgenommen
  • Wollt ihr da oben ein Haus bauen?
  • Respekt hey
  • Wow
  • Ohhhhh
  • Sauber
  • Alle Achtung
  • Keep going
  • Let’s Go
  • Sehr gut
  • Good Job
  • Muy Buenos
  • Very Strong
  • Mann, ihr seid verrückt
  • Holy shit

Ich muss an dieser Stelle auch mal ein Lob an die Motorradfahrer aussprechen. Kein einziger ist knapp an uns durchgefahren, oder hat gehupt. Hingegen waren wir drei Sportwagenfahrern nicht weit genug am Fahrbahnrand und diese mussten uns dann anhupen.

Weil es anfing zu regnen, als wir bei der Franzenshöhe ankamen, beschlossen wir, einzukehren, einen Latte Macchiato zu trinken und ein Stückchen Apfelstrudel zu essen.

Als der Regen aufhörte, fuhren wir weiter, um die letzten 24 Kehren in Angriff zu nehmen. Auch dieses letzte Drittel lief besser als erwartet. Es war zwar kalt und nicht gerade sonnig, aber trocken.

Es ist so schade, dass ich keine Fotos von den Autofahrern und den Beifahrern machen konnte. Auf den Gesichtern spiegelte sich bei unserem Anblick eine Mischung aus ungläubigem Erstaunen und blankem Entsetzen – aber es gab auch viele Gesichter mit einem extrem breiten Grinsen.

Leider sahen wir weder die Bartgeier, noch Murmeltiere. Von letzteren hörten wir nur immer wieder das Pfeifen.

Genau in Kehre 6 haben wir 20.000 Höhenmeter auf dieser Reise erreicht. Das mussten wir direkt an Ort und Stelle ein bisschen feiern. Wir sind nämlich ganz schön stolz auf uns.

Wir waren sehr begeistert, dass wir während der Auffahrt keinerlei Beschwerden hatten und wir haben es absolut nicht bereut, da hochgestrampelt zu sein. Es war eine sehr coole Aktion!

Wir ziehen den Hut vor jedem Radler und jeder Radlerin, die den Stelvio packen. Während der Auffahrt „flog“ zum Beispiel ein 12-jähriger Junge an uns vorbei. Ich sagte zu ihm „Wow! Bravo!“ Darauf hielt der Kleine den Daumen hoch, blickte über die Schulter zurück und sagte:“Ebenfalls!“ Oben fanden wir heraus, dass der Junge Janne Beuer heißt. Vielleicht hört man in ein paar Jahren bei der Tour de France von ihm. Sein Vater ist ebenfalls hochgefahren, aber der Junge war 30 Minuten schneller oben.

Auch der ehemalige Chef der Firma „Giant“ hat den Stelvio mit 73 Jahren heute nochmal bezwungen.

Andreas und ich gingen nach der Ankunft – 8 Stunden nach der Abfahrt in Prad (5, 5 Stunden reine Fahrzeit) – erstmal etwas trinken, um uns vor der Abfahrt nach Bormio etwas aufzuwärmen.

Für die Abfahrt mussten wir uns wieder sehr warm anziehen. Ich hatte 3 Paar Hosen und sogar den Anorak über zwei dünneren Jacken an. Dazu die dicken Handschuhe und ein Tuch am Kopf.

Die Abfahrt dauerte sehr lange und die Landschaft war einfach toll.

Die Kurven der Abfahrt Richtung Bormio waren auch sehr spektakulär. Es gab mindestens 35 Kehren. Irgendwann habe ich mit dem Zählen aufgehört.

In Bormio war wahnsinnig viel los. An einem Mittwoch. Komisch.

Der Spaziergang durch die Altstadt war zwar interessant, aber mit dem Tandem plus Turtle kein großer Spaß.

Wir fuhren ein bisschen aus der Innenstadt von Bormio raus und fanden mehrere Picknickhütten. In eine davon stellten wir den Turtle, um zu übernachten.

Tageskilometer: 51

Höhenmeter: 1779


Alle Beiträge im Überblick von "Alpen 2023"

5 Kommentare zu “Tag 26 – Stelvio mit Monstertruck bezwungen”

  1. Herzlichen Glückwunsch ihr Tandem-Trucker, der Stelvio muss ab jetzt „Fitnessraum vom rode Hiesl“ genannt werden. Schön, dass alles ohne Panne funktioniert hat und Euer Monstertruck gut gebremst wieder nach unten kam. Die 20.000 Höhenmeter haben dieser Etappe zurecht die Krone aufgesetzt. Das wird Euch als unvergessliches Abenteuer noch lange in guter Erinnerung bleiben!
    Chapeau, Ihr Lieben!

  2. Herzliche Gratulation!
    Als ich von eurem Vorhaben hörte (von Gunnar) staunte ich nicht schlecht. Jetzt wo ich den Bericht lese, bin ich platt. Ich habe den BTurtle auch schon über viele Hügel gezogen (mit und ohne E), aber solche Pässe und 20000HM beeindruckt mich extrem und eröffnet Perspektiven fürs Turteln in den Alpen.
    Wenn ihr mal in der Zentralschweiz seid, meldet euch (Plaudern, Kaffee, Reparieren, Standplatz).
    Weiterhin gute Reise.
    Frowin, BTurtle-Luzern
    http://www.bturtle-luzern.ch

  3. Tandem ist eure Lebenseinstellung, denn gemeinsam seid ihr mit Vorbereitung, Liebe und Disziplin unser aller 🎇Wunderteam! Ich streue euch von Herzen 1000 Rosen, Wunderteam in kurzen Hosen!!!
    Mit Staunen und Bewunderung
    Inge

  4. Ihr könnt sowas von stolz sein!! Chapeau, tolle Leistung!
    Ich finde ja, eurem Turtle gehört noch ein Mund. Bei der Vorderansicht sehe ich auf den Fotos immer ein Gesicht. Haarsträhne, Augen und Nase.

    Heute bei SWR1 Leute 2 Studenten auf Radtour 2022 von Tübingen nach Dubai.
    Bin gespannt, wann sie bei euch anklopfen für ein Interview :o)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert